KiSS in späteren Jahren
Immer wieder wird – nicht zuletzt von Versicherungen – die Behauptung in die Welt gesetzt „Ein Mal KiSS, immer KiSS„.

Aus einem Chirurgiebuch des 19.Jhd.
Das ist natürlich verführerisch, dies zu vermuten; vor allem für diejenigen, die damit die Ansprüche ihrer Kunden abwimmeln zu können glauben. Ob das eine sachliche Basis hat, untersuchten wir vor einigen Jahren und haben es auch veröffentlicht (Bie_Kue_Langzeit_13). Dabei stellte sich bei einer doch nicht kleinen Stichprobe (+- 200 junge Erwachsene, die als Baby behandelt worden waren) heraus, daß sie eher besser abschnitten als der Altersdurchschnitt.
Man kann natürlich aus solch einer kleinen Studie, die mit den begrenzten Mitteln einer niedergelassenen Praxis erstellt wurde, nicht allzu viele ‚harte‘ Schlüsse ziehen,
aber es scheint wenig plausibel, als Baby behandelten Menschen ihr Leben lang dieses Etikett KiSS anzuhängen. Im Gegenteil ist es für uns eine weitere Motivation, die Kinder möglichst vor der Vertikalisierung, d,h. dem Laufenlernen um den ersten Geburtstag, in sinnvoller Weise zu behandeln.
Der in dem alten Chirurgiebuch hier rechts abgebildete Erwachsene hat sicher neben der permanenten Verkürzung seiner Halsmuskeln auf der linken Seite entsprechende Anpassungen an der Form der Halswirbel und der Schädelbasis, sodaß selbst ein Durchschneiden des verkürzten Muskels da nicht mehr viel bringt. Aber das ist auch nicht sooo entscheidend. Natürlich ist es schrecklich, immer schief und krumm durchs Leben laufen zu müssen, aber wenn – im Rahmen dieser Begrenzungen – der Hals funktioniert ist ein relativ beschwerdefreies Leben möglich, das sehen wir immer wieder. Man muß nur viel schneller und mehr mit Funktionseinschränkungen rechnen. Aber diese sind behandelbar; nur wird man nicht mehr heilen, sondern eher reparieren können, während das noch bei Kleinkindern (und am besten bei Babys) meist möglich ist. Diese Patienten, die man als nach- Pubertäre oder Erwachsene erstmals gesehen hat, brauchen halt alle paar Jahre eine Wiederholungbehandlung. Es klemmt immer wieder an derselben Stelle; mein Lehrer Gutmann nannte so etwas den „Wetterwinkel“ des betreffenden Patienten. Wobei sich die Wiederholung auf die Jahre, nicht die Wochen bezieht. Wenn berichtet wird „Ich muß alle 14 Tage zum Einrenken!“, dann stimmt da was nicht.
Aber das kann kein Argument sein, zu verzagen oder den Kopf in den Sand zu stecken, höchstens, sich darüber im Klaren zu sein, daß eben ein Rückfall in alte Beschwerdemuster alle paar Jahre wahrscheinlich ist.
Auch eventuelle Unfälle wirken sich bei diesen Menschen drastischer aus, da sie schon vorbelastet sind.